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1 Jahr an der Bucerius Law School

Einen Tag nach Weihnachten fange ich mit dem an, was schon vor drei Monaten fällig gewesen wäre: Der Bericht über mein erstes Jahr an der Bucerius Law School. Diese Verzögerung ist charakteristisch für das Studium an der Bucerius Law School. Alles andere rückt schnell in den Hintergrund.

Das ändert nichts daran, dass sich viele Studierende der Law School weiterhin aktiv in innerhalb und außerhalb der Hochschule  engagieren. Trotzdem fällt es auf, dass bei vielen Kommilitonen extracurriculare Interessen schnell zweitrangig werden. Es fällt gerade deshalb auf, weil viele Studierende vor dem Studienstart sehr engagiert und vielfältig interessiert waren. Teilweise waren sie sogar sehr erfolgreich in ihren Disziplinen.

Aus diesem Grund war ich am Anfang auch sehr beeindruckt von dem, was einige Kommilitonen schon geschafft haben: Mitglieder im Gemeinderat, Preisträger bei Jugend debattiert oder Leistungssportler vor dem Sprung in den Profibereich. Viele haben spannenden Erfahrungen im Ausland gesammelt. Gleichzeitig darf man sich von diesen Leistungen und Erfahrungen nicht einschüchtern lassen. Der auffällige Lebenslauf ist keineswegs ein Muss. Die Studierenden der Law School zeichnen sich (in der Regel) durch ihre Persönlichkeit aus.

Das Jura-Studium an der Bucerius punktet dadurch, dass es über den juristischen Pflichtfachstoff hinausgeht. Studierende müssen Grundlagen der Wirtschaftswissenschaften erlernen, sich mit dem angloamerikanischen Recht auseinandersetzen und eine Reihe von geisteswissenschaftlichen Kursen (Studium Generale) besuchen. Darüber hinaus gibt es ein breites Angebot an Wahlkursen, die meist von hochkarätigen Dozenten betreut werden.

Im stressigen Alltag fallen diese „außerjuristischen“ Angebote und Pflichten gerne hintenüber, sodass sich durchaus die Frage stellt, ob Anspruch und Wirklichkeit von Jura „Plus“ nicht auseinanderfallen. Auch wenn viele dieser Angebote oft nach dem Paretoprinzip wahrgenommen werden und wir auch gerne mal unseren Unmut über manche zusätzliche Belastung äußern, empfinde ich diese Kurse als große Bereicherung für die Hochschule und für mich ganz persönlich. Es ist immer wieder interessant zu hören, auf dem Weg zu welchem Kurs sich Freunde und Kommilitonen gerade befinden.

An der Law School läuft man sich nämlich ständig über den Weg. Der Campus ist nicht groß, bietet aber alles was man fürs Studieren (i.e.S.) braucht: Mensa, Cafeteria, Bibliothek, Lerngruppenräume, Kursräume, Vorlesungssäle, Fitnessstudio, Freizeiträume und vieles mehr. So entsteht auf dem Campus schnell eine gemütliche Atmosphäre, bei der sich alle und jeder kennen.

Diese Familiarität an der Law School hat Vor- und Nachteile. Ein besonderes Merkmal ist sicherlich, dass Professoren und Studierende in sehr engem Kontakt stehen und das sich viele Professoren ernsthaft und aufrichtig für die Studierenden interessieren. Viele haben eine Leidenschaft für die Lehre (was nicht immer heißt, das sie auch gut darin sind). Auch die Hochschulleitung pflegt einen engen Draht zu den Studierenden. So trifft sich die Hochschulleitung jeden Dienstag mit der Studierendenvertretung und stellt im Propädeutikum das Allstar-Team beim Flunkyball-Turnier.  

Wer sich entscheidet, viel zu lernen, der verbringt viel Zeit auf dem Campus. Daraus entwickeln sich schnell enge Beziehungen unter den Studierenden und gerne wird nach dem Lernen noch etwas Gemeinsames unternommen. Dieses Campusleben führt aber in stressigen Phasen dazu, dass eine Eigendynamik entsteht, in der wir uns wechselseitig stark unter Druck setzen. Wenn ich eine Sache an der Law School lernen musste, ist es, dass es immer eine Person gibt, die bereit ist noch einen Schritt weiterzugehen. Damit muss man lernen umzugehen.  

Das kann besonders für die typischerweise ambitionierten Studierenden an der Law School schwierig sein. Viele haben sich lange über ihre akademischen Leistungen definiert. Sich aus dieser Dynamik zu befreien, kann auch deswegen schwierig sein, weil man dann „anders“ ist als der Rest. Weil man zu einem gewissen Grad gegen den Strom schwimmt. Damit umgehen zu lernen, gehört zur Tagesordnung an der Bucerius. Allein gelassen wird man dabei aber nicht. Die Hochschule bietet Mental Health Kurse an und es gibt auch Sprechstunden bei geschulten Coaches.

Ein Teil des Problems liegt wohl auch darin, dass Bewerbern sowie Studienanfängern von Anfang an erzählt wird, wie stressig dieses Studium ist – also genauso, wie ich es gerade mache. Mir ist es wichtig zu betonen, dass es verschiedene Wege gibt, dieses Studium anzugehen und dass es genügend Studierende gibt, die ihren Mittelweg finden. Einen Mittelweg, der ein lebendiges Privatleben und ein ambitioniertes Studium unter einen Hut bringt.

Wer trotz allem zu dem Ergebnis gelangt, dass das Studium für ihn nichts ist oder dass eine Pause vonnöten ist, der findet immer ein offenes Ohr beim Studiengangmanagement. Wie mir berichtet wurde, zeigen diese großes Verständnis für die individuellen Probleme und Bedürfnisse der Studierenden. 

Das Familiäre an der Law School hat zuletzt auch zur Folge, dass es sich zu einem wesentlichen Grad um eine „Juristen-Bubble“ handelt, genauer eine „Privatuni-Juristen-Bubble“. Daraus auszubrechen, bereitet vielen große Schwierigkeiten. Für einige fehlt es an anderen Perspektiven und neuen Menschen im persönlichen Umfeld, sodass sich der Alltag unter Umständen als eintönig gestaltet. Besonders anstrengend sind wegen des schlechten Wetters in dieser Hinsicht die Wintermonate.

Positiv zu bemerken ist in dieser Hinsicht, dass die Bucerius vieles tut, um diverser und zugänglicher zu werden. Seit Neuestem arbeiten wir zum Beispiel mit der Hertie-School aus Berlin zusammen. Immer wieder finden Ringvorlesungen in Kooperation mit der Universität Hamburg statt und gelegentlich gibt es Partys mit anderen Hamburger Hochschulen. Auch das Jura-Stipendium (https://www.law-school.de/studium/jurastudium/kosten-finanzierung-stipendien/jura-stipendium) ist ein wichtiger Schritt in diese Richtung.

An den guten Tagen ist die Law School ein Ort, an dem alle kontinuierlich und gemeinsam daran arbeiten, sich weiterzuentwickeln und zu wachsen. An den schlechten Tagen ist sie ein Ort, an dem das Menschliche und das was eigentlich zählt, völlig aus dem Blick gerät. Diese schlechten Tage können hart sein, aber insgesamt bin ich zufrieden mit meiner Entscheidung an der Law School zu studieren. 

Es gab immer wieder Momente, in denen ich an meiner Entscheidung gezweifelt habe. Besonders die Klausurenphasen und die Wintermonate haben mich wirklich herausgefordert. Offen bleibt natürlich auch die Frage, ob es die vergleichsweise entspanntere Variante an einer (öffentlichen) Universität es nicht auch getan hätte. Für mich war sicher hilfreich, dass ich aus Hamburg komme. Dadurch hatte ich genügend Rückzugsorte, um Energie zu tanken.

Insgesamt überwiegen für mich aber die positiven Seiten. Dazu zählen die coolen Leute, die ich in diesem Studium bisher kennenlernen durfte, und die Breite und Qualität der extracurricularen Angebote. Entscheidend ist aber das Gefühl, dass ich hier meine Grenzen austesten kann. Dieses Austesten mag oft Stress, Druck und Angst mit sich bringen. Gleichzeitig ist es eine Chance sich selbst besser kennenzulernen und als Person zu wachsen.

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