TM

Eine neue Seite von Religion

Als Kind hatte ich keine besondere Verbindung zu Religion. Meine Eltern haben mir keine Zugehörigkeit aufgedrängt und abgesehen von Weihnachten und Ostern wurde christliche Feiertage bei uns nicht wirklich ausgelebt.

Obwohl mir auf der anderen Seite auch keine atheistischen Vorstellungen vorgelebt wurden, entwickelte ich mich mit zunehmendem Alter auf natürliche Art und Weise in diese Richtung. Das erste Mal bewusst damit auseinandergesetzt und realisiert, dass ich nicht an Gott glaube, habe ich wahrscheinlich in meinen ersten Teenager-Jahren.

Auf der weiterführenden Schule kamen unweigerlich die weit verbreiteten Debatten zwischen Atheisten und Gläubigen auf, die in diesem Alter nun mal aufkommen. Ich persönlich habe den christlichen Glauben damals nicht wirklich ernst genommen. In meinem Kopf war es glasklar, dass die Idee von einem Gott durch die Wissenschaft falsifiziert und infolgedessen aus der Zeit gefallen sei.

Aus diesem Grund war es mir auch unerklärlich, warum ich in der Schule über das Christentum lernen sollte. Vor allem in meinen „wilden“ ersten Jahren auf dem Gymnasium äußerte sich dieses Unverständnis in auffälligem Verhalten. Retrospektiv gesehen glaube ich, dass ich in keinem Fach so aus der Reihe getanzt bin wie in Religion – vielleicht in Kunst. Und das mag etwas heißen, denn auf Linie stand ich damals selten.

Ich erinnere mich an einen Vortrag über christliche Feiertage, den ich in der achten Klasse mit einem Freund hielt. Und ich erinnere mich genau daran, wie wir völlig ahnungslos irgendeine Liste aus dem Internet reproduzierten ohne irgendeinen blassen Schimmer zu haben. Nicht grundlos schrammte ich in Religion regelmäßig nur knapp an der 5 / „mangelhaft“ vorbei.

Das Blatt wendete sich als ich das erste Mal auf Jordan Peterson stoß. Auch wenn sein Religionsverständnis bei einigen christlichen Priestern auf Widerstand stößt, ist er maßgeblich an der Wiederbelebung des christlichen Glaubens beteiligt. Und obwohl Jordan Peterson’s Glaube erheblich von der Glaubensweise vieler traditioneller Christen abweicht, hat er mich auf meine irrationale Ignoranz gegenüber dem religiösen Glauben aufmerksam gemacht.

Bisher habe ich noch keinen Entschluss gefasst, wie sich Jordan Peterson’s Glaubenweise mit der christlichen Praxis anderer Christen vereinen lässt und inwiefern gewisse Differenzen überhaupt relevant sind. Aber ich komme der Sache immer näher.

Den wesentlichen Teil meiner Ignoranz gegenüber dem christlichen Glauben gebrochen, hat aber ein anderes Erlebnis : und zwar die Begegnung mit Prof. Austriaco bei einer young leaders Konferenz. young leaders ist ein Verein, der Workshops, Konferenzen & Co für junge, engagierte und scheinbar begabte Schülerinnen und Schüler anbietet.

Im Sommer 2020 nahm ich an einer fünftägigen (vllt. auch viertägig?) Konferenz besagten Vereins teil und einer der ersten Vorträge auf der Agenda war zum Thema: Menschenwürde. Redner war ein gewisser Professor Austriaco. Ein philippinischer Mikrobiologe, der am MIT und an der University of Pennsylvania studiert hatte. Was ich und viele andere Teilnehmer unter den etwa 100 erwarteten, war ein ambitionierter Forscher mit typischem Wissenschaftler-Mindset. Was stattdessen auf die Bühne trat, war ein Mönch.

Der Mikrobiologe war ein Mönch. Das passte damals nicht in meinen Kopf: Wissenschaft und Mönchsleben? Was soll das?

Schnell wurde mir klar, dass ich mir vorher hätte eine ganz andere Frage stellen sollen: Was will uns ein Mikrobiologe zur Menschenwürde erzählen? Und besagter Prof. Austriaco sprach zu uns auch weniger als Mikrobiologe und mehr in seiner Rolle als Theologe.

Er war außerdem ein brillianter Redner, der den ganzen Saal in seinen Bann zog. Am Ende des Vortrags hatte er mich dazu angeregt, intensiv darüber nachzudenken, warum ich eigentlich glaube, was ich glaube und warum die Gegebenheit einer Menschenwürde für mich so glasklar ist. Und das gelang ihm ohne viel zu reden. Denn was er im Wesentlichen tat, war Fragen zu stellen.

Dadurch zeigte er uns auf trickreiche Art und Weise, wie wenig Ahnung wir eigentlich vom Thema Menschenwürde hatten. Er fragte also in diesen Raum scheinbar begabter und interessierter Schüler eine Reihe an Fragen zur Menschenwürde: Warum behandeln wir Tiere anders als Menschen? Warum ist die Bundeskanzlerin nicht mehr wert als ein normaler Bürger?

Eine Reihe an Schülern stand auf und meldete sich, um ihre im eigenen Kopf so clever klingenden Antworten durch eine weitere Gegenfrage zerpuffen zu lassen. Ich war einer dieser Schüler. Auf seine Gegenfrage formulierte ich noch eine Antwort, aber auch diese Antwort wurde von einer weiteren Frage ausgehebelt.

Nach diesem Vortrag wusste ich eins: dass ich nichts wusste. Aber das reichte mir nicht. Dieser Vortrag hatte mich neugierig gemacht. Mit der Menschenwürde mag er seine Punkte gemacht haben, aber der glaubt doch nicht wirklich an die Existenz Gottes?!

Mit dem Wissen aus Stephen Hawkings „Kurze Antworten auf große Fragen“ bewaffnet, wollte ich die christliche Weltanschauung noch ein weiteres Mal herausfordern. Ich konnte nicht loslassen, ich musste das verstehen.

Am selben Abend saß Professor Austriaco mit einer Reihe an interessierten Zuhörern in einem Kreis und beantwortete Fragen. Ich sah meine Gelegenheit, notierte meine Fragen und machte mich auf den Weg, um den Professor in seinem Unwissen bloßzustellen.

Etwa 20 Leute saßen im Kreis um den Mönch herum und stellten ihre Fragen. Endlich kam ich an die Reihe und ich stellte so viele Fragen hintereinander, dass sich der Rest begann darüber zu ärgern. Aber ich konnte nicht aufhören.

Außerdem war Professor Austriaco kein leichter Gegner. Ganz im Gegenteil: Jede meiner Fragen beantwortete er so zufriedenstellend, dass ich danach eindeutig realisieren musste: Ich war so blind…

Es war das erste Mal, dass ich realisierte, dass Evolutionsbiologie, Naturgesetze, und moderne Physik und Chemie in keinem verdammten Widerspruch zum christlichen Glauben stehen. Es war das erste Mal, dass ich realisierte, dass sich diese Konzepte fusionieren und zusammenführen lassen.

Seitdem hatte ich eine Menge spannender Begegnungen mit christlichen Ideen und christlichen Personen in der Literatur. Vor allem in Solschenizyhns „Archipel Gulag“, aber auch in Victor Frankls „Man’s Search for Meaning“ tauchten die Gläubigen immer wieder als zufriedene und das Leiden dieser Welt bezwingende Persönlichkeiten auf.

Die ganze Schlagweite verstand ich wahrscheinlich erst beim Lesen von Dostojewskis „Schuld und Sühne“ und im Besonderem „Brüder Karamasow“, was beides völlig geniale Werke sind. Mit jeder dieser Begegnungen kam ich dem Christentum einen Schritt näher.

In England ging ich dann das erste Mal freiwillig aus eigener Motivation heraus zu einem Gottesdienst. Wenn ich schon in einem neuen Land bin, muss ich Dinge ausprobieren, die schon länger auf meiner Liste standen. Das war mein Motto.

So ging ich an meinem ersten Sonntagmorgen ohne großes Überlegen in den Gottesdienst der nächsten Kirche, die ich finden konnte und es sollte sich herausstellen, dass ich zufällig (oder durch Gottes Hand geleitet) in einer wunderbaren Kirche landen sollte.

Obwohl ich eine halbe Stunde zu spät kam, wurde ich mit strahlendem Lächeln begrüßt und ein Platz zugewiesen. Es war ein Ausnahmegottesdienst anlässlich des verstorbenen Königin Elizabeth und der Pfarrer hielt eine wunderbare Predigt über Christus Bodenständigkeit und die Gottesfürchtigkeit der Königin.

Aber nicht nur die Predigt fesselte mich. Auch der leidenschaftliche Gesang der Menschen verzauberte mich und zum Ende des Gottesdienstes war ich einfach nur beeindruckt davon, was ein Gottesdienst tatsächlich bieten kann.

Noch bevor ich aufstehen konnte, kam der Pfarrer auf mich zu, um sich mit mir zu unterhalten. Es ist im Generellen beeindruckend, wie schnell alle Mitarbeiter dieser Kirche neue Menschen erkennen und dafür sorgen, dass sie sich willkommen fühlen. Das habe ich an keinem Ort jemals so positiv erlebt und es hat mir von Anfang an das Gefühl vermittelt, das diese Kirche wirklich von Liebe durchströmt wird.

Ich weiß, das mag etwas romantisch klingen, aber es war einfach eine so herzliche und freundliche Atmosphäre und ich finde keine besseren Worte dafür.

Besagter Pfarrer wollte mich direkt mit Michael bekannt machen, der frischgebackener Pfarrer und Leiter der Gruppe für 18- bis 30-Jährige ist. Also machte er sich auf die Suche nach ihm, aber noch bevor er ihn finden konnte, saß er schon neben mir und fragte mich aus.

Mein Vorurteil, dass viele Christen predigen, was sie selbst nicht einhalten, löste sich schneller in Luft auf als ich realisieren konnte. Die Freude, die Liebe, die Hoffnung und Wärme dieser Kirche verkörperte genau das, was eine Kirche verkörpern sollte.

Seitdem bin ich mit (wirklich) wenigen Ausnahmen jede Woche zum Gottesdienst gegangen und auch jeden Dienstag zur Bibelgruppe. Bibelgruppe klingt langweiliger als es ist. Wir sind jedes Mal etwa 40 – 50 Leute im Alter von 18 bis 30, die erstmal gemeinsam essen, ein warmes Getränk genießen, einen kleinen Vortrag von Michael hören und sich anschließend in kleine Gruppen zum Bibellesen und Beten aufteilen.

Über die Kirche sind auch eine Reihe an guten Beziehungen entstanden. Einmal wurde ich spontan zum Mittagessen eingeladen, lernte dort viele spannende Menschen kennen und endete am anderen Ende der Stadt bei einer Tea-Party einer anderen christlichen Gemeinde. Bei dieser Gelegenheit konnte ich eben jene Geschichte teilen, die ich in diesem Artikel teile und bisher konnte ich viele Christen durch meine Geschichte ermutigen.

In regelmäßigen Gesprächen mit Michael und anderen belesenen Christen habe ich auch die Bibel und den Glauben immer näher kennengelernt. Es fällt mir noch schwer mich als Christen zu bezeichnen, aber ich glaube ich bin soweit zu sagen: Ich glaube an Gott.

Share the Post:

Related Posts

Die Selbstgerechten

Sahra Wagenknecht lässt die Linke hinter sich und gründet eine eigene Partei. Damit erreichen die Unruhen im politischen Deutschland einen

Read More