TM

Ein Aufsatz, den ich für den Philosophie-Unterricht verfasst habe:

Auf die Aktualität dieser Fragestellung einzugehen, erscheint angesichts der Omnipräsenz des russisch-ukrainischen Kriegs vollkommen überflüssig. Seit dem 24. Februar 2022 herrscht ein Krieg in Europa, der selbst dem verwöhntem Westen vor Augen führte, dass auf dieser Welt weiterhin Kriege geführt werden.

Viele Journalisten aber auch Experten versuchten sich an mehr oder weniger zutreffenden Analysen der Motive des russischen Präsidenten für seine Invasion. Während einige Putin schlichtweg in die Schublade durchgedrehter Staatsoberhäupter schoben, bemühten sich Andere an rationalen Ansätzen mit Bezug auf Putins Geschichtsverständnis der slawischen Gebiete und verwiesen auf die Vision des Panslawismus. Sowieso lässt sich insgesamt festhalten, dass die Verantwortung für diesen Krieg im öffentlichen Diskurs vor allem diesem einen Mann, nämlich Vladimir Putin, zugeschrieben wird. Sind es also Einzelpersonen wie Putin die darüber entscheiden, ob es Krieg gibt oder nicht? Sind es letztendlich die politischen Entscheidungsträger die über Leben und Tod, Krieg oder Frieden, Sicherheit und Gefahr jedes Einzelnen entscheiden? Oder stehen hinter diesen Einzelpersonen ganze Gruppierungen, die persönliche Vorteile aus diesem Krieg ziehen?

Warum gibt es also Krieg?

Wenig überraschend haben sich bereits vor dem 21. Jahrhundert und dem Ukraine-Krieg Menschen mit den Ursachen von Krieg und den daraus resultierenden Präventivmaßnahmen beschäftigt. Dazu zählt zum Beispiel ein Mann, der vor allem für seine wissenschaftlichen Leistungen im Bereich der Naturwissenschaften bekannt ist und beide Weltkriege miterlebte: Albert Einstein. Doch bevor wir zu Einstein kommen, sollten wir klar und deutlich festlegen, was wir als Krieg begreifen.

Was ist Krieg?

Ein Krieg ist laut Bundeszentrale für politische Bildung ein organisierter, mit Waffen gewaltsam ausgetragener Konflikt zwischen Staaten oder sozialen Gruppen. Eine ähnliche Definition lässt sich im Duden finden, wobei dieser nicht von sozialen Gruppen, sondern von Völkern spricht.

Mit dem Begriff der sozialen Gruppen/Völker schließen wir scheinbar genauso Bürgerkriege oder die organisierte und mit Waffengewalt durchgeführte Verfolgung von Minderheiten ein.. Allerdings bin ich der Auffassung, dass es sich bei der bloßen– selbst mit Waffengewalt vollzogenen – Verfolgung einer Minderheit nicht automatisch um einen Krieg handelt. Auch wenn Kriege genauso einen asymmetrischen Charakter haben können, müssen zumindest beide Seiten mit Waffengewalt agieren. Der Begriff „Verfolgung“ impliziert bereits eine solche Diskrepanz zwischen den Konfliktparteien, die die Erfüllung des Charakters eines wirklichen Krieges verhindert. Andererseits gibt es natürlich gewaltsame Verfolgung von Minderheiten, auf die mit eigener rebellischer Waffengewalt reagiert wird. Geschieht dies in einer organisierten Art und Weise stehen die Rebellenkämpfer und die Verfolger in einem Bürgerkriegsverhältnis zueinander – Verfolger und Verfolgte jedoch nicht zwangsläufig.

Bevor wir uns nun endlich Einsteins Analyse widmen, möchte ich einen strukturellen Überblick über seine Auffassung geben, die hoffentlich zu einem besseren Verständnis seiner Position führen wird. Einsteins Analyse baut auf der unumstößlichen Annahme von einer menschlichen Veranlagung zur Aggressivität auf, die durch wenige gierige Menschen mit Mitteln der Massenmanipulation zum Vorschein gebracht wird. Die wichtigste Ursache von Kriegen ist für Einstein jedoch nicht ein momentaner Zustand, sondern ein Nicht-Zustand, nämlich der Nicht-Bestand einer überstaatlichen Institution, die über uns alle wacht. Einsteins Analyse setzt sich also aus einem deskriptiven Abschnitt zusammen, in dem er erläutert, wie es zu Kriegen kommt und damit auch einen Teil der Frage nach dem Warum beantwortet, und wird durch den entscheidenden Abschnitt ergänzt, in dem er seine Analyse beginnt und bei dem er den einzig realistischen Hebel zur Prävention jeglicher Kriege sieht: die Installation einer überstaatlichen Institution..

Fehlen einer überstaatlichen Institution

In seinem Brief an Dr. Sigmund Freud nennt Einstein direkt zu Beginn einen für ihn ausschlaggebenden Grund für Krieg: das Fehlen einer überstaatlichen Organisation, „die ihrem Gericht unbestreitbare Autorität zu verleihen und der Exekution seiner Erkenntnisse absoluten Gehorsam zu erzwingen imstande wäre“ (Z. 2 ff.). Bereits dieser erste Satz verdeutlicht Einsteins Sicht auf die Dinge. Er ist überzeugt, dass wir Menschen eine natürliche Veranlagung zur Aggressivität in uns tragen, die sich lediglich durch eine übergeordnete Instanz in Schach halten ließe – derselbe Ansatz wie Hobbes Leviathan. Genauso wie Hobbes und viele andere Staatstheoretiker sieht Einstein also die Notwendigkeit einer übergeordneten Institution, die nicht nur in der Lage ist Urteile zu fällen, wie der „Internationale Gerichtshof“ (IGH) der UN oder der „Internationale Strafgerichtshof“ (IStGH) in Den Haag: zwei Institutionen, denen es offensichtlich an exekutiver Durchsetzungskraft mangelt (siehe Putins Reaktion auf die Anordnung des IGH den Krieg in der Ukraine zu stoppen). Voraussetzung für eine solche Institution wäre allerdings die Bereitschaft der Staaten einen Teil ihrer Souveränität abzugeben: „Der Weg zur internationalen Sicherheit führt über den bedingungslosen Verzicht der Staaten auf einen Teil ihrer Souveränität“ (Z. 6 ff.).

Ansätze solch einer übergeordneten Instanz sehen wir in der EU oder den Vereinten Nationen (UN). Bereits Woodrow Wilson träumte nach dem 1. Weltkrieg mit dem Völkerbund von einer übergeordneten Kontrollinstanz, die alle Kriegsgedanken im Keim ersticken würde. Scheitern tun diese Institutionen an der mangelnden Bereitschaft ihrer Mitglieder eigene Souveränität an eine höhere Institution abzugeben. Es lässt sich zumindest festhalten, dass wir den vergangenen Systemdualismus zwischen Sowjetunion und USA überwunden haben, wodurch wir einer Voraussetzung einer solche übergeordneten Weltinstitution näher gekommen sind: dem gemeinsamen Wertesystem. Allerdings bleibt ein systemischer Widerspruch zwischen Demokratie und Diktatur, zwischen den USA und China. Genauso bleiben verschiedene Geschichtsverständnisse zur eigenen Rolle innerhalb der Weltpolitik, die selten den Verzicht auf eigene Souveränität vorsehen. Dieses Wissen über die historische Entwicklung der Bedeutung übergeordneter Institutionen ist deshalb wichtig, um einschätzen zu können, inwiefern solche Visionen Realismus oder purer Fanatismus sind. Denn ich selbst glaube, dass eine funktionierende überstaatliche Institution tatsächlich ein immenser Schritt in Richtung mehr Frieden sein wird. Gleichzeitig lässt sich die unglaublich komplexe Frage nach der Ursache von Kriegen nicht durch die simple Vision einer übergeordneten Instanz beantworten:

Diese übergeordnete Instanz würde zu Beginn ohne Zweifel auf wackligen Beinen stehen. Genauso wie das vereinte Deutschland 1871. Dieser Prozess wird intensive und kraftraubende Entschlossenheit erfordern. Bleiben wir bei der Reichsgründung 1871: Tatsächlich konnte es Deutschland nämlich nicht schaffen seinen eigenen Flickenteppich vollkommen zusammenzunähen. Am Ende blieb Österreich, die ein eigener Staat außerhalb des neu geschaffenen Deutschlands wurden. Warum? Preußen und Österreich standen sich in einem religiösen Dualismus gegenüber und kämpften um die Vorherrschaft im losen Bund der deutschen Staaten. Am Ende gelang es wie gesagt nicht einen befriedigenden Kompromiss zu finden. Stattdessen gab es den Bruderkrieg zwischen Preußen und Österreich. Der Prozess wird uns also vor gewaltige Herausforderungen stellen.

Gehen wir nun tiefer in die Materie und fragen uns, welche Bedingungen diese übergeordnete Instanz erfüllen müsste. Diese Institution stünde vor der gewaltigen Aufgabe die richtige Balance zwischen zentraler Macht sowie notwendigem und essenziellen Föderalismus zu finden. Anderenfalls wäre die Institution machtlos oder so mächtig, dass sie jedem Staat dieser Welt ihren Willen aufzwingen könnten. Darüber hinaus müsste sie in der Lage sein den Zusammenhalt seiner Mitgliedsstaaten zu garantieren. Wenn wir an die vielen Unabhängigkeitsbestrebungen innerhalb von Staaten in unserer Geschichte denken (Jugoslawien, Kurden, Katalonien), aber auch an die Austrittsbestreben verschiedener EU-Mitglieder (Polen, Ungarn, „Rassemblement National“ in Frankreich, AfD in Deutschland) bis zum tatsächlichen Austritt (Torys in Großbritannien) denken, wird schnell klar, dass der Zusammenhalt einer solchen Institution einen besonders durchdachten Plan und eine besondere Entschlossenheit verlangen wird.

Zu guter Letzt muss diese Organisation darüber hinaus frei von Korruption bleiben. Schauen wir uns dafür Staaten wie Mexiko an, die auf dem Papier zwar eine übergeordnete Instanz (ihren offiziell existierenden Staat) besitzen, diese aber faktisch nicht mehr die Kontrolle über das Geschehen im Land hat. Sobald die Machtträger der übergeordneten Instanz nicht gemäß ihren Verpflichtungen agieren, sondern sich stattdessen den Angeboten einzelner Untereinheiten hingeben, geht der Charakter eines neutralen übergeordneten Richters und damit der gesamte Zweck der Organisation verloren.

Obwohl ich mit Albert Einstein grundlegend übereinstimme und ebenso denke, dass eine überstaatliche Institution einen besonderen Beitrag zur kollektiven internationalen Sicherheit leisten würde, bleibt doch offen, inwiefern es sich bei dieser Vision nicht um unerreichbare Träumerei handelt. Die Ausgestaltung einer solchen Institution und insbesondere der Prozess zur Gründung einer solchen Institution wird eine besondere Qualität und ein besonderes Weltverständnis erfordern.

Die profitierende Schicht

An dieser Stelle wird Einsteins Hypothese etwas komplexer, denn er vermutet eine weitere Ursache des Krieges in der Gier weniger, die vom Kriegswesen profitieren. Darunter zählt er die politischen Entscheidungsträger, die aus einer Machtgier heraus Kriege induzieren würden, und andererseits im Besonderen die Waffenindustrie, die solche Bestrebungen aus einer finanziellen Gier heraus unterstützen würden.. Diese kleine Gruppe sei in der Lage durch Propaganda und die Kontrolle über Medien, Schule und religiösen Organisationen die Meinung der Massen zu beeinflussen. Besonders anfällig für solch eine Propaganda sei die bürgerliche Bildungsschicht, die sich vor allem durch Schrift und Presse informiere, während der Arbeiter seine Meinung primär auf Grundlage eigener Erfahrungen entwickle und damit weniger anfällig für diese Art der Beeinflussung sei.

Sind es nun also, wie in der Einleitung in den Raum geworfen, einzelne Handlungsträger, die aus persönlicher Macht- und Geldgier heraus über Krieg und Frieden entscheiden? Beim Ukraine-Krieg war es eindeutige eine kleine Gruppe an Menschen, wenn nicht sogar eine Person, die den Einmarsch befohlen hat. Putin gilt in allen Darstellungen als der alleinige Chef, auf dessen Entscheidung höchstens eine kleine Zahl an Beratern Einfluss nimmt und dessen Entscheidungen am Ende über die Politik des gesamten Landes entscheidet.. So oder so hat nicht das Volk auf diesen Krieg gepocht, sondern zweifelsfrei die politischen Entscheidungsträger, die ihren Krieg mit medialer Beeinflussung legitimierend vorbereiteten und begleiten. Entstanden ist dieser Krieg so gesehen auf deduktivem und nicht auf induktivem Wege.

Gibt es auch Kriege des Volks?

Auf der anderen Seite gibt es auch Kriege, die ein geringes Maß an Überzeugungsarbeit der Massen erfordern. Prominentestes Beispiel sind Kriege gegen den Terror wie zum Beispiel der USA in Afghanistan. Militärische Interventionen, die keine Propaganda für die eigene Rechtfertigung benötigten. Beim Afghanistan-Krieg handelte es sich also um einen Krieg, der zumindest zu Beginn von großen Teilen der Bevölkerung explizit und ausdrücklich unterstützt wurde. Damit entstand dieser Krieg nicht entsprechend Einsteins Vorstellung von oben nach unten, sondern von unten nach oben. Aber auch darüber hinaus unterscheidet sich die Entstehung dieses Krieges auch dadurch, dass es sich nicht primär um eine aktive Aktion, sondern um eine Reaktion auf einen Angriff handelt. Genauso handelt es sich um einen Verteidigungskrieg, also nicht um einen Krieg aus der Intention der Machterweiterung heraus, wobei sich das genau genommen in Einsteins Hypothese eingliedern ließe, wenn man diese Notwehr als Machterhalt auslegt.

Ich möchte gerne einen weiteren Punkt von Einsteins Hypothese näher beleuchten: die Ausführung über die Unterschiede in der Anfälligkeit für Propaganda von Schicht zu Schicht. Einstein stellt die Hypothese auf, dass die „intelligente“ Schicht anfälliger als andere für Propaganda sei.

Unterschiede in der Anfälligkeit für Propaganda

Zunächst glaube ich, dass sowohl die bürgerliche als auch die arbeitende Klasse nahezu ähnlich anfällig für Kriegspropaganda sind. Während sich die bürgerliche Schicht wahrscheinlich verstärkt mit der tiefergreifenden Begründung und Weltanschauung beschäftigt, wird die Arbeiterklasse aus der eigenen Not heraus den Sachverhalt oberflächlicher und kurzfristiger hinsichtlich der eigenen Lage analysieren. Wobei ich glaube, dass für die bürgerliche Schicht letztendlich genauso der potenzielle persönliche Vorteil, den sie aus der Kriegssituation ziehen, eine besondere Rolle spielen wird und nicht ausschließlich die rationale Überzeugungskraft der propagierten politischen Philosophie. Wenn es um das Ende von Kriegen geht, wissen wir, dass es oft die arbeitende Klasse ist, die sich gegen die Kriegstreiber auflehnt (Matrosenaufstand 1918, Oktoberrevolution 1917). Aus diesen Tatsachen nun zu schließen, dass die Arbeiter automatisch weniger anfällig für staatliche Propaganda sind, halte ich für zu kurz gedacht. Ich denke, dass hier stattdessen die Lebensumstände der entscheidende Faktor sind. Während die Bürgerlichen viel zu verlieren haben, steht die arbeitende Schicht infolge rücksichtsloser Kriegswirtschaft meistens vor dem eigenen Abgrund. Für diese Menschen ging es um Leben & Tod und somit war auch der Prozess der Selbstreflexion und der Erkenntnis über die gelebte Lüge eine geringere Überwindung als für die bürgerliche Schicht, die im Normalfall weiterhin genug zum Überleben hatte.

Diese Hypothese Einsteins beschreibt einen großen Teil der begonnenen Kriege unserer Geschichte zutreffend. Andererseits gibt es genauso Kriege, wie den genannten Afghanistan-Krieg – hier ließen sich auch französische Kriege gegen Deutschland als Reaktion auf die vorangegangenen Demütigungen 1871 oder den Eintritt der USA in den 2. Weltkrieg als Reaktion auf den Angriff von Pearl Harbor nennen -, die nicht aus Macht- oder finanzieller Profitgier heraus entstehen, sondern aus Notwehr und der Gewährleistung der (inter-)nationalen Sicherheit heraus. Sicherlich haben Machtinteressen teilweise ebenfalls eine Rolle gespielt. So ging es den USA in Afghanistan irgendwann sicherlich nicht mehr nur um die eigene nationale Sicherheit, aber insbesondere der Eintritt der USA in den 2. Weltkrieg war eine eindeutige verteidigungspolitische Entscheidung, denn die USA waren historisch stets ein Land gewesen, das sich aus den internationalen Konflikten heraushielt.  

Ist internationale Sicherheit auf keinem anderen Weg möglich?

Für Einstein ist klar, „dass es einen anderen Weg [als die übergeordnete Instanz] zu dieser [internationalen] Sicherheit nicht gibt“ (Z. 8 f.). Wobei er zum Ende seines Briefs die Frage in den Raum wirft, ob es einen Weg gibt zu verhindern, dass sich das im Menschen natürlich veranlagte Bedürfnis zu hassen und zu vernichten (vgl. Z. 46 ff.) in Handlungen manifestiert: „Gibt es eine Möglichkeit, die Entwicklung des Menschen so zu leiten, dass sie den Psychosen des Hasses und der Vernichtung gegenüber widerstandsfähiger werden?“ (Z. 46 ff.). Zu Zeiten von Einstein gab es vielfältige Diskussionen, die sich mit dem psychologischen Kondition des Menschen befassten und im Besonderen mit der Frage, ob der Mensch wirklich von Natur aus zum Hass und zur Vernichtung angelegt ist. Sigmund Freud beantwortete diese Frage eindeutig mit „Ja“ und beschrieb jegliche andere Auffassungen als „Illusion“. Für Freud wohnt in jedem Menschen ein Destruktionstrieb, der sich wie in Einsteins Vorstellungen durch äußere Beeinflussung in Handlungen manifestieren würde. Dennoch sah Freud tatsächlich eine Chance im Menschen widerstandsfähiger gegenüber diesen Beeinflussungen zu werden und das durch den antagonistischen „Lebenstrieb“. Für Freud gibt es zwei Möglichkeiten diesen Todestrieb durch den Lebenstrieb zu schwächen: durch Liebe und durch Identifizierung.

Die christliche Nächstenliebe sei zum Beispiel solch ein Konzept, dass, obwohl es schwer zu erfüllen sei, den eigenen Lebenstrieb fördern und damit den Todestrieb schwächen würde. Identifizierung erreiche man durch gemeinsame Werte, Weltanschauungen und Lebensweisen, die genauso gegenseitige Auswüchse des Aggressionstriebs vorbeugen würde. Hiermit ergänzt Freud den pessimistischen Blick Einsteins und ergänzt seinen einzigen Hebel, die Installation einer überstaatlichen Instanz, um einen individuellen, der Nächstenliebe, und einen kollektiven Ansatz, nämlich der gemeinsamen Identifizierung.

Es wird deutlich, dass es sich bei solch einer Veränderung des menschlichen Naturells um keine einfache Aufgabe handelt und angesichts der aufgezeigten Schwierigkeiten bei der Installation eines überstaatlichen Institution bleibt es fraglich, ob es jemals Frieden geben wird. Die historische Entwicklung stimmt positiv, denn die Zahl der Kriege und insbesondere die Zahl der Todesopfer in Kriegen nimmt seit langer Zeit kontinuierlich ab.

Basierend auf Einsteins und Freuds Analyse von der Art und Weise, wie Kriege entstehen und welche Lösungsansätze sich zur Prävention dieser eröffnen, bin ich fest überzeugt, dass es langfristig möglich sein wird einen optimalen Friedenszustand zu erreichen – absoluten Frieden halte ich für unmöglich. Genau genommen gibt es eine weitere Zahl an Gründen für Kriege, die Einsteins deskriptiven Ansatz übersteigen. Dazu zählen zum Beispiel Ressourcenkriege, religiöse Kriege, imperialistische Kriege und viele mehr. Gemeinsam haben all diese Kriege jedoch, und das macht Einsteins Ansatz so zutreffend, dass der Prozess in den meisten Fällen auf eine deduktive Art und Weise abläuft. Das bedeutet, dass der Funke des Kriegs nicht im Volk, sondern bei den Herrschenden entspringt. Nur im Falle eines Motivs läuft dieser Prozess von unten nach oben ab: wenn es um die nationale Sicherheit geht (siehe Afghanistankrieg).

Kriege als politisches Instrument

Ein weiterer Denker, der sich mit den Ursachen von Krieg beschäftigt und dessen Charakter analysiert hat, ist Carl von Clausewitz. Clausewitz sieht in Kriegen ein uneingeschränktes politisches Instrument, das dem Zweck der Politik dient. Genauso wie also diplomatische Gespräche, Sanktionen oder Subventionen einem politischen Zweck dienen; genauso dient der Krieg der Politik. Das Einzigartige am Krieg ist für Clausewitz die „eigentümliche Natur seiner Mittel“ (Z. 11 f.), die ihn von anderen politischen Instrumenten unterscheiden. Clausewitz differenziert weiter, dass die Gewalttätigkeit und Brutalität des Krieges je nach Einstellung der „Feldherren“ (Z. 14) und der „Kriegskunst im Allgemeinen“ (Z. 14) sowie der vorangegangenen politischen Spannung variieren kann und je stärker diese Spannung war, desto eine abstraktere und kriegerischere Gestalt wird der Krieg annehmen (vgl. Z. 15 ff.).

Diese Analyse Clausewitz halte ich für absolut richtig. Wie er auch selbst begründet, muss die Entscheidung zur Kriegsführung einem politischen Zweck entspringen. Denn Clausewitz begründet zutreffend, dass der Krieg anderenfalls „an ihre Stelle treten als etwas von ihr ganz Unabhängiges, sie verdrängen und nur seinen eigenen Gesetzen folgen“ (Z. 6 f.) würde. Gleichzeitig unterscheidet Clausewitz präzise, indem er betont, dass selbst wenn kriegerische Handlungen eskalieren, die formal und genau genommen nicht mehr dem politischen Zweck dienen, das Töten von Zivilisten beispielsweise, bleiben diese brutalen Handlungen weiterhin ein Mittel, das einem politischen Zweck dient.

Clausewitz‘ Ansatz lässt sich des Weiteren mit Einsteins Analyse verbinden. Denn beide sehen in Kriegen kein von jeglichem Fremdzweck abgekoppeltes Phänomen, sondern eine zweckdienliches Instrument. Im Fall von Einstein dient sie den führenden Entscheidungsträger, um ihre politische Macht auszubauen.

Mein Ansatz

Soweit ich die Dinge beurteilen kann, halte ich Einsteins und Clausewitz‘ Analysen in der heutigen Zeit für zutreffend. Um präziser zu sein, möchte ich Einsteins Machtmotiv um weitere Motive ergänzen, denn induktive Notwehrkriege können genauso ein valides Kriegsmotiv sein. Im Wesentlichen glaube ich genauso wie Clausewitz, dass Kriege einem politischen Zweck dienen und sich ihre Ursachen dementsprechend auch dort verorten lassen. Und auch wenn es sich in der Politik oft um Macht dreht, gibt es nun mal, wie angesprochen, genauso Verteidigungsfälle, die ursprünglich nicht unbedingt einem Machtinteresse entspringen, in den meisten Fällen aber genau genommen der Machtsicherung dienen – zumindest, wenn man Notwehr als eine Form der Machtsicherung auslegt.

Interessant zu beurteilen ist zuletzt das, was ich bereits angeschnitten habe, nämlich die Möglichkeit der Kriegsprävention und des Friedens. Was diese Frage betrifft, bin ich ebenfalls überwiegend d’accord mit der Einschätzung von Einstein, wobei ich insbesondere die Möglichkeit die aggressive Veranlagung des Menschen in Grenzen zu halten, nicht teile. Denn erstmal glaube ich nicht, dass sich die menschliche Motivation in Todes- und Lebenstrieb zweiteilen lässt und das selbst wenn eine Transformation dieser Veranlagungen in der Praxis so möglich wäre. Der entscheidende Punkt ist für mich die Installation einer übergeordneten Instanz und den Verzicht der Staaten auf einen Teil ihrer Souveränität. Dabei glaube ich im Übrigen nicht, dass die Friedensbewegungen, die von Abrüstung schwärmen und darin die Lösung jeglichen kriegerischen Potenzials sehen, den richtigen Ansatz zur Bewältigung dieser Herausforderungen hat. Vielmehr denke ich, dass eine kooperative Basis zwischen Staaten oder sozialen Gruppen gefunden werden muss, die sich auf die Installation einer gemeinsamen Instanz einigen, die dadurch auch die notwendige Legitimität und Gewalt innehat.