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Wie ich unerlaubt eine Vorlesung an der Cambridge Universität besuchte

Die Cambridge University ist die drittälteste Universität der Welt. Mit 121 brachte sie so viele Nobelpreisträger hervor wie keine andere Universität auf dieser Welt. Wer würde nicht gerne mal eine Vorlesung an dieser glamourösen Universität besuchen?

Die University of Cambridge ist die drittälteste Universität der Welt. Mit 121 Nobelpreisträgern steht sie an der Spitze aller Universitäten. Persönlichkeiten wie Sir Isaac Newton, Alan Turing & King Charles studierten an der 1209 gegründeten Universität 60 Meilen nördlich von London.

Seitdem ich wusste, dass ich meinen Freiwilligendienst in der Universitätsstadt Cambridge verbringen werde, spielte ich mit dem Gedanken einige Vorlesungen zu besuchen. Die Universität bietet gelegentlich Veranstaltungen und Vorlesungen an, die für die allgemeine Öffentlichkeit zugänglich sind. Das reichte mir aber nicht. Ich wollte eine reguläre Vorlesung besuchen.

Ich warf also einen Blick auf die wirklich umfangreiche Internetseite und informierte mich über die rund dreißig Studiengänge für Undergraduates. In der langen Liste an Kursen fand ich mit Computer Science einen Studiengang, der mit seinen Vorlesungen meine Neugier weckte.

Mit ausführlicher Recherche und Navigation durch viel zu viele Links gelang es mir den Stundenplan des im Oktober beginnenden Part 1A ausfindig zu machen. Also so halb zumindestens. Denn statt einem einfachen Stundenplan fand ich zwei Links vor. Einer der Reiter sollte mich zum gewöhnlichen Studenplan führen, funktionierte aber nicht. Der zweite Reiter führte mich dafür zu einem umso spezielleren Dokument.

Statt einem gewöhnlichen Stundenplan für das Trimester lag mir eine verschlüsselte Variante vor. Meine Aufgabe war es nun diesen Stundenplan mithilfe der vorliegenden Anweisungen zu dekodieren. Kein Plan, aber ich glaube Computer Scientist rätseln gerne… Offen gesprochen war es dank der Anweisungen keine wirkliche Herausforderung. Trotzdem werde ich das in meiner CV nennen, wenn ich mich als „Codeknacker“ beim Geheimdienst bewerbe.

Innerhalb des Studiengangs gibt es eine Reihe verschiedener Kurse. Am Spannendesten las sich die Kursbeschreibung für Foundations of Computer Science. Problematischerweise konnte ich mit dem zugehörigen Veranstaltungsort Central Venue: Lecture Theatre nichts anfangen. Ich musste also erstmal herausfinden, wo sich dieser verdammte Hörsaal verbirgt.

Jegliche Internetrecherche blieb erfolglos. Nachdem mir selbst aktuelle und ehemalige Studenten nicht weiterhelfen konnten, verlor ich die Hoffnung. Doch dann fand ich heraus, dass heute eine Willkommensmesse für alle neuen Studenten auf Parkers Piece stattfinden sollte.

„Das ist die Chance!“, dachte ich und machte mich gegen späten Nachmittag auf den Weg zur sogenannten Fresher’s Fair. Ich war etwas spät dran und dementsprechend in Eile. Ich nahm den ersten Schritt aus der Tür und realisierte: es regnet. Doch davon wollte ich mich nicht unterkriegen lassen und marschierte in schnellem Schritt die ersten zehn Minuten der insgesamt 20-minütigen Strecke. Der Regen wollte aber nicht nachgeben. Stattdessen begann es immer stärker zu regnen.

Da die Messe unter freiem Himmel stattfand, bezweifelte ich dass sich irgendwelche Studenten diesen Unfug antun würden. So scheiterte mein Plan.

In meiner Vezweiflung warf ich einen zweiten Blick auf den Stundenplan und, wie es manchmal so ist, erkannte ich meinen Fehler. Der Name des Vorlesungssaals war nicht Central Venue: Lecture Theatre, sondern Central Venue: Lecture Theatre A, New Museums Site.

Zuerst hatte ich das Komma übersehen…

Um meinen Fehler zu verstehen, müssen wir uns kurz das Verschlüsselungssystem anschauen: Jeder Ort wird durch einen zugehörigen Buchstaben verschlüsselt. Das „A“ identifizierte ich fälschlicherweise als Schlüssel für einen anderen Ort. So stellte sich heraus, wo ich tatsächlich hinmuss.

Damit entwarf ich meinen Plan. Per Google Street View untersuchte ich die Umgebung, um die Umgebung des Vorlesungssaals auszuspionieren. (ich will gar nicht wissen, für welche Zwecke diese Software noch genutzt wird). Mir war außerdem klar, dass ich mich im besten Fall unter irgendeine Gruppe von Studenten mische. Falls für irgendeine Tür ein Ausweis nötig wäre, könnte ich mich einfach mit der Gruppe reinschleichen.

Dementsprechend war mein Plan, etwas früher vor Ort zu sein und irgendwelche Studenten anzuquatschen. Da es für alle die erste Vorlesung war, standen die Chancen sehr gut, dass das kein seltenes Phänomen ist. Bei über 100 Studenten in diesem Studiengang bezweifle ich sowieso, dass sich alle kennen.

Dementsprechend begab ich mich am Freitagmorgen um 09:00 Uhr auf den Weg zur New Museums Site, einem älteren Gebäudekomplex der Universität gegenüber dem Pembroke College. Neben dem Vorlesungssaal findest du dort das Museum for Zoology, falls das jemanden begeistern sollte.

Erstmal tastete ich die Eingänge ab (also im übertragenen Sinne, versteht sich) und fand schnell eine kleine Karte. Während ich mich auf der Karte orientierte, grüßte ich einen an mir vorbeilaufenden Mann, der sich als Mitarbeiter der Universität herausstellte. Leider kannte er den exakten Weg zum Vorlesungsaal nicht. Stattdessen wies er mir zumindest die Richtung zum „Student Service Centre“, wo mir sicherlich jemand weiterhelfen würde.

Der Eingang zum Gebäudekomplex

Seiner Wegbeschreibung folgend gelangte ich in einen kleinen Innenhof und traf dort auf drei Gleichaltrige. Ich hatte also mein Trojanisches Pferd gefunden. Es waren zwei blasse Gestalten und ein etwas korpulenter Junge mit dunklerem Hautton, der einen viel zu weiten Hoodie trug. Ohne Zögern fragte ich die Drei: „Are u guys here for the Computer Science Lecture as well?„.

Sie reagierten mit etwas perplexen Gesichtsausdrücken als käme ich aus einer anderen Welt. Dazu muss man sagen, dass ich ohne Rucksack und in einer schwarzen Northface-Weste aufkreuzte. Auf ihre Bestätigung hin, streckte ich meine Hand aus, um mich vorzustellen. Auch dieses alltägliche Phänomen kam den Dreien wohl nicht so bekannt vor. Schnell flog mir die Frage entgegen, vor der ich mich so gefürchtet hatte: „Which College?„. Eine Frage, die mir das Genick brechen könnte.

Dafür muss man wissen, dass die Studenten an der Cambridge Universität in sogenannten „Colleges“ organisiert sind. Jedes College bietet eine spezifische Zahl an Plätzen für einen Studiengang an. Zum selben College zu gehören, ist wie aus derselben Gegend zu kommen. Man kennt sich einfach. Eigentlich wollte ich auf diese Frage erstmal mit der Gegenfrage antworten: „You guys first. Which College are you from?“. So hätte ich ihre Antworten abwarten können und eines der übrigen Colleges nennen können.

Stattdessen antwortete ich jedoch mit „Abbey College„, was übrigens eine stinknormale Schule in Cambridge ist und offen gesagt einfach „Bullshit“ als Antwort ist, haha. (https://www.abbeycambridge.co.uk/)

Nach einem kurzen mehr oder weniger souveränen Smalltalk begnügte ich mich mit meinem Handy bis wir uns schließlich auf den Weg machten. Der Saal war um einiges breiter als lang. Er umfasst 130 Plätze und unterschied sich offen gesagt nicht wesentlich vom durchschnittlichen Vorlesungsaal. Die Bänke erinnerten mit ihrem kaffeebraunen Holz an Kirchenbänke. Auf der Ablage war kaum Platz für einen Computer, sodass ich beim Zurücklehnen nicht selten an den über die Ablage ragenden Computer meines Hintermanns stieß.

Übrigens, während alle ihre Laptops herausholten und wie professionelle Nachwuchs-Programmierer viel zu viele Computerprogramme öffneten, hatte ich nicht mehr als ein weißes DIN A4-Papier und einen Kugelschreiber dabei. Ich hatte einfach keine Lust gehabt, einen schweren Rucksack zu tragen…

Der Vorlesungssaal
Quelle: https://www.em.admin.cam.ac.uk/news/student-services-centre-new-museums-site-now-fully-operational

Unser Professor für die Vorlesung war ein stämmig gebauter Mann mit orientalischer Herkunft und Glatze. Er trug ein helles Hemd und ein lockeres Sakko. Seine Votragsweise war nicht unheimlich charismatisch, aber zumindest interaktiv und verständlich. . Wer sich für die Inhalte interessiert, kann mir gerne persönlich schreiben. Im Endeffekt war es natürlich eine Vorlesung und kein spannender interaktiver Unterricht…

Zur Internetseite des Professors: https://anil.recoil.org/

Was diese Universität in ihrer Lehrweise wirklich herausragend macht, sind aber nicht die Vorlesungen, sondern das individuelle Coaching in Seminaren und Trainings. Nichtsdestotrotz genoss ich die Vorlesung und konnte einiges lernen. Der gesamte Kurs wird übrigens von einer Online-Plattform begleitet, auf der sich alle Unterlagen finden und die Studenten ihr angelerntes Wissen beim Lösen von Übungsaufgaben unter Beweis stellen müssen.

Nach der ersten Vorlesung wollte ich eigentlich einen schnellen Abgang machen. Leider stellte sich heraus, dass ich mit diesem Plan der Einzige war. 5 Minuten später erfuhr ich den Grund. Der Vorlesung schloss sich eine zweite an und bevor ich es richtig realisierte, nahm ich auch an dieser mit Digital Electronics überschriebenen Vorlesung teil.

Über diesen Kurs hatte ich gelesen und wusste, dass das wirklich Spannende bei der praktischen Arbeit im Labor und nicht im Vorlesungssaal stattfindet. Im Gegensatz zum ersten erfülllte dieser Lehrer außerdem eine Reihe an Klischees über Cambridge-Professoren: graue zerstrubbelte Haare, schmale und kleine Statur, ein abgetragenes, blasses kariertes Hemd. Zuletzt sprach er so monton, dass er meiner ehemaligen Französisch-Lehrerin Konkurrenz machten könnte.

In den folgenden fünfundvierzig Minuten ging er alles rund um Logik durch, was ich vorher in fünf neunzigminütigen Unterrichtsstunden in der Schule gelernt hatte. Dieser Lehrer war wirklich gnadenlos. In welcher Geschwindigkeit dieser Mann logische Operationen vereinfachte und runterbrach, ließ mich nachhaltig an meinen eigenen Fähigkeiten zweifeln. Den Gesichtsausdrücken der anderen Zuhörer zu urteilen, war ich mit diesem Gefühl nicht völlig alleine.

Beide Vorlesungen waren auf hohem Niveau, wie ich es erwartet hatte. Auf diese Studenten kommt einiges an Arbeit zu. Wie schon angedeutet, zeichnen nicht die Vorlesungen das Prädikat der Universität aus. Nichtsdestotrotz fand ich es spannend mir diese Inhalte anzuhören und einfach mal eine Vorlesung mitzuerleben. Wie sich die Vorlesung von ihren Äquivalenten an anderen Hochschulen unterscheiden, kann ich mangels Erfahrung leider nicht beurteilen. Am Montag findet die nächste Vorlesung in der Reihe statt und ich werde mal schauen, wie gut ich den Vorlesungen im weiteren Verlauf ohne Vor- und Nachbereitung folgen kann.

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