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Der letzte Tag meines magischen Wochenendes in Maddingley Hall

Es bricht der letzte Tag meines magischen Wochenendes in Maddingley Hall an. Wie am Vortag werde ich von Carrie & Ruth mitgenommen und wie am Vortag genießen wir die Reste des wohlschmeckenden Frühstücksbuffets.

Für diesen Sonntag standen nur noch zwei kleine Kurseinheiten auf dem Plan. In der Ersten ging es um Figurenentwicklung. Gute Figuren sind offensichtlich ein essenzieller Bestandteil jeder guten Geschichte, ob fiktiv oder nicht.

Unsere Aufgabe war es, einen Freund oder einen Bekannten in wenigen Sätzen so einprägsam wie möglich zu beschreiben. Dazu bekamen wir einen kleinen Tipp auf den Weg: wir sollten uns auf die speziellen, bizarren Eigenschaften konzentrieren, die zum Lachen bringen und sich in wenigen Sätzen zusammenfassen lassen.

So beschrieb ich einen Freund, mit dem ich eigentlich nicht mehr viel Kontakt pflege, der durch seine Persönlichkeit und seine damit einhergehende Art aber eine hervorragende Schablone für eine Figurenbeschreibung darbot. Meine Punchline war: dass er auf seine Art und Weise so charmant war, dass er von der Kantinenchefin regelmäßig kostenlose Schokobrötchen geschenkt bekam.

In dieser Einheit bekam ich viele großartige Beschreibungen von Mitmenschen zu hören und es war immer wieder das spaßige, freche Element das hängenblieb. Man muss an dieser Stelle sagen, dass alle meine Mitstreiter nicht nur mitten im Leben standen, sondern auch eloquent und artikuliert waren.

In der zweiten Kurseinheit bot sich Raum für offene Fragen der Teilnehmer. Ehrlich gesagt, blieb mir aus dieser Einheit nicht viel hängen. Vielleicht hatte ich zu viele Kekse in mich reingestopft oder war einfach etwas müde. Wie auch immer: Anscheinend gab es so viele Fragen, dass Derek & Lizzy anboten nach dem Lunch noch für weitere Fragen zur Verfügung zu stehen.

Ich hatte schon angeschnitten, dass wir ein hervorragend artikulierter Kurs waren. Es ging aber darüber hinaus. Über den gesamten Kurs erlebte ich eine so offene, ehrliche Atmosphäre, die nicht anders als beflügelnd wirkte. Jeder Beitrag war wirklich gut. Ich verließ diesen Kurs mit dem Eindruck, dass alle meine Mitstreiter wirklich gute Autoren machen würden. Nicht grundlos tauschten wir unter den Teilnehmern Email und Handynummern aus.

Scheinbar war es nicht nur für mich ein magisches Wochenende gewesen. Auch Lizzy & Derek wählten zum offiziellen Ende bewegende Worte. Wir seien der spannendste Kurs gewesen, den sie je an einem Wochenende hatten unterrichten dürfen. Es sei wirklich magisch gewesen, wie niemand außen vor blieb und wirklich jeder mindestens einen wertvollen Beitrag liefern konnte.

Das Mittagessen war mal wieder großartig. Danach wurde auch noch Kuchen serviert, den ich sehr genoss. Ich kann nicht mehr genau rekonstruieren, ob ich Mark an diesem oder am vorigen Tag näher kennengelernt hatte. Auf jeden Fall spazierte ich (auch) an diesem Tag mit Mark über das Gelände und wir tauschten uns über Gott und die Welt aus.

Mark war (wahrscheinlich) anfang dreißig, war schmal und groß gebaut und hatte ein weiches vertrauensvolles Gesicht, das gut zu ihm passte. Denn er war nicht nur ein netter, aufrichtiger Typ, sondern arbeitete auch im Addenbrooks Hospital als Anästhesist (Narkosearzt). Da mein Vater auch Anästhesist ist, hatten wir mit dem Gesundheitswesen ein Thema über das wir uns ausführlich austauschen konnten.

Beunruhigend fand ich, dass die Arztgehälter in Großbritannien so gering sind. In meinem Kopf ließen sich als Arzt in England Unmengen an Geld verdienen, aber es stellte sich heraus, dass das Gegenteil der Fall ist. Wer momentan die Nachrichten verfolgt, hat vielleicht mitbekommen, in welch desaströsem Zustand sich das englische Gesundheitswesen befindet. Schlechte Arbeitsbedingungen plus schlechtes Gehalt sind nicht unbedingt attraktive Aussichten bei der Berufswahl.

Wobei sich in England als Arzt immer noch gutes Geld verdienen lässt, allerdings erst in den höheren Positionen. Das Einstiegsgehalt ist verschwindend gering. Was in Deutschland mit 46.600 € die Untergrenze für das Einstiegsgehalt als Arzt ist, gilt in England als das Höchste, was sich für Einsteiger verdienen lässt.

Nach unserem Spaziergang begaben wir uns zurück in den Kursraum. Dort fanden wir Joanna und Julia, die genauso wie wir die Gelegenheit zum letzten Austausch mit Derek & Lizzy nutzen wollten.

Letztere war Kandidaten der liberalen Demokraten für ihren Wahlkreis bei der Wahl fürs Unterhaus und trat dabei gegen die (damals) aktuelle Gesundheitsministerin des Vereinigten Königreichs an. Ob besagte Gegenkandidaten nach dem Regierungsdurcheinander noch Regierungsmitglied ist? Ich habe keinen blassen Schimmer.

Joanna war etablierte Anwältin (sie praktizierte seit über 20 Jahren) und fiel von Anfang an durch ihr Selbstbewusstsein und ihr Charisma auf. Sie spielte mit dem Gedanken einen Master in Creative Writing an der Cambridge University zu machen.

Derek & Lizzy trauten ihr zu, dass sie ihm Interview überzeugen würde. Allerdings wäre es ohne einen anderen mit dem Creative Writing assoziierten Abschluss schwierig. Sie empfahlen ihr stattdessen erstmal einen der vom ICE angebotenen Certificate-Kurse abzuschließen.

Einer aus unserer kleinen Runde fragte, wie entscheidend Talent beim Schreiben sei. Das war eine spannende aber auch generische Frage. Bei fast jedem Traum beginnen wir uns erstmal skeptisch zu fragen, ob wir dafür überhaupt talentiert genug sind. Was die meisten bei dieser Frage hören wollen, ist wohl, dass Talent keine Rolle spielt und jeder es mit harter Arbeit schaffen kann. Andere wollen wahrscheinlich das Gegenteil hören, damit sie eine Ausrede haben. Wie mit vielen Dingen im Leben ist es so, dass es keine eindeutige Antwort gibt.

Lizzy & Derek berichteten aus ihren eigenen Erfahrungen von Schülern, die rapide Entwicklungen hinlegten und das obwohl sie zu Beginn nicht unbedingt als talentiert galten. In anderen Fällen hingegen ließe sich von Anfang an ein besonderes Talent erkennen (an dieser Stelle fügte Lizzy in Richtung von mir hinzu – ich paraphrisiere erneut: „Ich meine, Deine Parabel hat mich wirklich beeindruckt“).

Es war etwas wirr, aber scheinbar hatte sie in meiner Parabel von der Kartoffel zum Oktopus etwas Talent erkannt. Wie auch immer: Sie mochte meine Parabeln und diese Resonanz hat mich wirklich ermutigt. Auch Mark hatte bei unserem Spaziergang nochmal gesagt, dass er beeindruckt davon sei, wie weise ich für mein Alter schon sei. Ich weiß ja nicht, ob das so stimmt, aber ich notiere es mir trotzdem. Es hilft mir auf jeden Fall dranzubleiben. Vielleicht schaue ich irgendwann auf diesen Artikel zurück und erinnere mich daran, dass ich manchmal einfach an mich glauben muss. Das Fazit der Beiden war auf jeden Fall, dass jeder unabhängig von seinem Alter noch seiner Leidenschaft fürs Schreiben nachgehen sollte!

Zwischendrin stellte ich auch eine Frage, die mich persönlich sehr interessierte. Ich hatte mich immer gefragt, wie man am besten Gegenstände beziehungsweise die Umgebung einer Figur beschreibt und Derek lieferte mir eine Methode, an der ich mich seit jeher zu orientieren versuche. Man solle eine originelle Perspektive einnehmen, die sich nicht auf Form und Materie des Gegenstandes beschränkt, sondern eine hypothetische Geschichte des Gegenstandes beschreiben, Assoziationen, die dieser erweckt oder was sich damit anstellen ließe.

Mark und ich waren am Ende die letzten Verbleibenden, die – wie kleine Streber – Lizzy & Derek noch dabei halfen, einige Sachen zum Auto zu tragen. Eigentlich wollte Lizzy uns noch eine Liste mit Buchempfehlungen schicken. Dafür notierten wir ihr extra unsere Email-Adressen. Leider kam bis zum heutigen Tage nichts bei mir an ;(

So oder so war es ein aufregendes Wochenende. Ich habe viele neue Erfahrungen gesammelt, einiges gelernt und wurde in meinem Interesse zu schreiben bestärkt. Nach diesem Wochenende fing ich an, einige Gedichte zu schreiben, die ich auf meiner Webseite veröffentliche. Außerdem begann ich einen Roman zu schreiben, den ich aber nach etwa 60 Seiten pausiert habe. Mal schauen, wann ich dieses Projekt beende. Dafür müsste ich erstmal aufhören, mich von jeder zweiten Idee ablenken zu lassen…

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