TM

Ein magisches Wochenende in Maddingley Hall

Viele Leute spielen mit dem Gedanken sich literarisch auszuleben. „Creative Writing“ Kurse sollen dabei helfen, indem sie Teilnehmern das Autorenhandwerk vermitteln. Vor einigen Wochen habe ich selbst einen solchen Kurs besucht und es war eine magische Erfahrung…

Ich sitze an meinem Laptop und durchstöbere die Bildungsangebote der Cambridge University. Wenn ich schon hier bin, dann sollte ich doch irgendwie von der Bildung einer der besten Universitäten der Welt profitieren können, oder? Nach einiger Recherche lande ich auf der Seite des Institute of Continuing Education (ICE) der Cambridge University .

Das ICE bietet zum Beispiel postgraduelle Zertifikate & Diploma, Teilzeit-Masterstudiengänge, Sommerprogramme und Wochendkurse an.

Unter den Wochenendkursen stoße ich auf einen Kurs, der mit dem Titel: „Yes, you can write: an introduction to creative writing“ überschrieben war. Das ist’s! Jetzt muss ich nur mal schauen, wie teuer das ist? 355 Pfund??? Für ein Wochenende?

Lange habe ich gezögert, denn 350 Pfund waren nun mal eine Menge Geld – vor allem in meiner finanziellen Lage als Freiwilliger mit knapp 200 Pfund monatlichem Taschengeld.

Im Endeffekt bewegte mich ein einziges Argument zu dieser Investition: Du bist einmal in deinem Leben hier in Cambridge und wenn Du es jetzt nicht ausprobierst, wann dann? … ja, die klassische „Fear of missing out“.

https://www.tridenthospitality.co.uk/portfolio/madingley-hall/

Es ist ein dunkler Oktoberabend. Ich packe meine Wertsachen, einen Stift und ein Blatt Papier in meine Tasche und schwinge mich auf mein Fahrrad. Na ja, schwingen ist etwas übertrieben und lässt das alles epischer klingen als es ist. Mein Fahrrad ist (war – mittlerweile wurde es geklaut…) ein einziges Schrottstück gewesen.

Es hatte weder Vorder- noch Rücklicht, die Bremsen funktionierten nur sporadisch und die Gangschaltung hatte sich verselbstständigt, sodass ich mich nicht selten im niedrigen Zahnrad die kleinen Hügel Cambridges hinaufkämpfen musste. Trotzdem war ich für dieses Fahrrad sehr dankbar, denn ohne wäre mein Leben weitaus anstrengender gewesen.

Ich hatte eine lange Strecke vor mir, denn der Kurs fand in Maddingley Hall statt. Besagtes Anwesen liegt am anderen Ende der Stadt, sprich im weit entfernten Norden Cambridges. Mit einem normalen Fahrrad wäre es wahrscheinlich eine 20 bis 30 minütige Fahrt gewesen; mit meinem besonderen Modell handelte es sich eher um eine Dreiviertelstunde.

Ohne Licht eine Strecke dieser Länge bei Dunkelheit zurückzulegen ist nicht ganz ungefährlich. Doch irgendwie überlebte ich und kam schließlich schweißgebadet an der einladend warm leuchtenden Maddingley Hall an. Auf den letzten Metern überholte mich noch ein kleines rotes Auto, dass auch am Anwesen parkte.

Aus dem Auto stiegen zwei ältere Damen. Ihre Namen waren Carrie & Ruth, wie ich schneller erfuhr als erwartet. „I almost ran you over“, konfrontierte mich die kleinere der beiden Damen namens Carrie. In ihrer Stimme lag dieser liebevoll ernste Tonfall einer Großmutter, der harscher klingt als er gemeint ist.

Ich solle mir ein Fahrradlicht kaufen, alles andere sei gefährlich, erklärte sie mir. Und damit hatte sie absolut Recht…

Los geht’s

Der erste Punkt auf der Tagesordnung für den Abend war das gemeinsame Dinner, wobei sich alle Teilnehmer vorher für Drinks in der Lounge zusammenfinden konnten.

Dort traf ich auch Carrie & Ruth wieder und lernte außerdem noch Alex kennen. Alex war aus den USA nach England geflogen, um an einem zeitgleich stattfindenden Philosophie-Kurs teilzunehmen – was ich für eine große Investition für ein einzelnes Wochenende hielt. Vielleicht hatte ich mich auch verhört und er blieb noch etwas länger in England.

Alex war Mitte 30 und steinharter Republikaner, was bei Carrie nicht besonders punktete. Ich unterhielt mich etwas über Politik mit ihr und gewann den deutlichen Eindruck, dass sie grüne und sozialdemokratische Positionen bevorzugte.

Das Dinner

Wir begeben uns also in den Essenssaal, der mich ein bisschen an eine Minitaturversion der großen Halle aus Harry Potter erinnert. Drei lange Tische erstrecken sich über den Raum. Zusammen mit einem älteren Herr, Alex und Tania, die ich später noch näher kennenlernen sollte, setze ich mich an das Ende des dritten Tischs.

https://www.bglrieber.co.uk/blog/2018/03/14/madingley-hall-cambridge/

Der Biologieprofessor

Es stellt sich heraus, dass der ältere Herr einer der Tutoren ist. Er hat graues Haar und seine elegante Gestik verrät, dass er in der Vergangenheit in noch edleren Häusern gespeist hat. Und trotz alledem ließ sich aus seiner Stimme kein Ansatz irgendeiner Herablässigkeit erkennen.

So wie ich nun mal bin, übersprang ich den gewohnten Smalltalk, und plapperte den armen Biologieprofessor, der an diesem Wochenende einen Kurs über Evolution halten würde, völlig zu. Ich stellte ihm einige Fragen zu anthropologischen Themen, die eng mit der Evolutionstheorie verwandt sind. Eine seiner Aussagen blieb besonders hängen. Er sei skeptisch gegenüber den Versuchen das Evolutionsprinzip auf Phänomene außerhalb seiner eigentlichen Sphäre anzuwenden. Da stimme ich nur zu…

Derek & Lizzy

Im Anschluss an das wohlschmeckende Abendessen mache ich mich auf den Weg zu unserer ersten Kurseinheit. Nach anfänglichen Schwierigkeiten bei der Raumsuche, komme ich als Vorletzter endlich an und platziere mich prompt neben Carrie & Ruth. Wir sitzen in Hufeisenform und vorne hinter einem kleinen Pult sitzen unsere Tutoren Derek & Lizzy.

Mittlerweile scheinen sich alle eingetrudelt zu haben und Derek erhebt das Wort. Auf seinem Gesicht liegt eins der herzlichsten Lächeln, das ich jemals erblickt habe und das mich einige Sekunden zuvor persönlich begrüßt hatte. Ich glaube, es war so ehrlich, weil es aus seine Kraft aus einer tieferen Weisheit schöpfte als das klassische Schwiegersohnlächeln.

Derek William Niemann schreibt freiberulich für den „Guardian“ und hat neben ein paar Büchern über Bienen & Schmetterlinge „Birds in a Cage: The Remarkable Story of How Four Prisoners of War Survived Captivity“ und „A Nazi in the Family: The Hidden Story of an SS-Family in Wartime Germany“ geschrieben. Mit letzterem Buch nahm er seine eigene Familiengeschichte in den Blick nachdem er herausfand, dass sein Großvater ein SS-Offizier war.

Nach einer mitreißenden Einleitung stellt Derek seine Partnerin vor: „Elizabeth Speller“. Lizzy, wie wir sie nennen, ist stolze 72 Jahre alt, wirkt aber im Herzen blutjung. In ihrer Stimme liegt ein künstlerischer und verspielter Ton und außerdem erinnert sie mich ein wenig an J. K. Rowling.

Lizzy ist für den fiktiveren Schwerpunkt des Kurses zuständig. Während Derek einen nicht-fiktiven Schreibstil pflegt, hat sich Lizzy auf Kurzgeschichten und Gedichte spezialisiert. So hat sie das Libretto für Michael Berkelys „Farewell“ für Paul McCartneys Frau Linda geschrieben. Beide verantworten als Tutoren regelmäßig Masterkurse im Creative Writing an der Cambridge University.

Von der Kartoffel zum Oktopus

Als einer der ersten Aufgaben des Abends sollten wir eine Kurzgeschichte schreiben. Obwohl sich schon einige Müdigkeit im Raum ausgebreitet hatte, verteilten wir uns in den edlen Gemächern der Maddingley Hall und begannen an unseren Werken zu tüfteln. Die etwas verrückte Aufgabe war aber nicht nur eine Kurzgeschichte zu schreiben. Nein, wir sollen eine Kurzgeschichte schreiben, die uns von einer Kartoffel zu einem Oktopus führt. Irgendwie packte mich das Fieber einer guten Idee und ich begann auf meinem provisorisch eingepackten weißen Druckerpapier loszuschreiben:

„Beneath a beautiful tree keeping any light from being shed under its crown grows a small potato with lightgreen sprinkles inhabiting its skin. Everyday people gather around the tree to pay respect to its greatness and beaut and everyday the lightgreen sprinkles became more and more uniting to bigger areas spread across the potato. But one day a big flood wrecks down the tree and the people weeped over the death of their great monument. In the meanwhile the little potato which had stopped growing and started to dissolve and was nothing more than an ill vegetable at that point looked at the sun rising in the sky and the water floating its roots. Slowly the lightgreen lakes on its skin turned into a lila tone and from its skin it grew the arms and all-seeing eyes of an octopus…..

In den letzten Sekunden als wir schon zurückgerufen werden, kritzle ich die letzten Worte auf meinen Zettel und mache mich auf den Rückweg.

…And people built boats and came to worship the great octopus.“

Und aus irgendeinem Grund war ich in diesem Moment völlig von diesem Produkt überzeugt. Also entschied ich mich die Hand zu heben und meinen Text vorzulesen, was auf mehreren Ebenen eine Überwindung war. Erstens waren es meine ersten Worte vor einer Gruppe fremder Leute. Zweitens musste ich auf Englisch sprechen und drittens las ich mein erstes ernsthaftes Werk fiktiver Literatur vor.

Und zu meiner Überraschung und irgendwie auch Nicht-Überraschung bekam ich eine Menge an Anerkennung zurück. Vor allem Lizzy und Derek schienen wirklich beeindruckt von meinem Werk. Lizzy kam am selben Abend (vielleicht war es auch der nächste Morgen) sogar noch einmal zu mir, um explizit auszudrücken, wie gut ihr diese Geschichte gefallen hat.

Das alles war nur der Anfang eines magischen Wochenendes, der mich erheblich in meinem Selbstvertrauen bestärkte. Ich habe schon immer gerne und viel geschrieben, aber trotz allem war ich mir oft unsicher, wie gut es tatsächlich geschrieben ist. Die Erfahrungen an diesem Wochenende sollten mich erstmals wirklich in diesem Traum bestärken.

In einem (vielleicht auch zwei) weiteren Artikeln werde ich vom Rest des Wochenendes erzählen. An diesem Abend fuhren mich Carrie & Ruth nach Hause und wir machten einen Treffpunkt für den nächsten Morgen aus, an dem sie mich liebenswürdigerweise mitnehmen würden.

Share the Post:

Related Posts

Die Selbstgerechten

Sahra Wagenknecht lässt die Linke hinter sich und gründet eine eigene Partei. Damit erreichen die Unruhen im politischen Deutschland einen

Read More