Um einen näheren Einblick in meine Arbeit in der Obdachlosenhilfe zu geben, möchte ich mal über eine der Herausforderungen sprechen, mit der ich tagtäglich konfrontiert bin. Natürlich variiert mein Aufgabenprofil von Zeit zu Zeit, aber es gibt eine Herausforderung, die scheint eine Konstante in diesem Bereich zu sein – jedenfalls wenn man zusammen mit den Obdachlosen lebt: Schlafprobleme.
Gesunder Schlaf ist wichtig. Diese Binsenweisheit hat vor allem durch die moderne Schlafforschung nochmal einen richtigen Aufschwung erlebt. Überall kursieren die besten Tipps und Tricks, um den eigenen Schlaf zu optimieren. Das ist alles schön und gut und oft ist man doch eh zu faul, diese Tipps wirklich gewissenhaft umzusetzen.
Ich kann Euch aber sagen: seid ihr erstmal mit externen Störfaktoren konfrontiert, die euren Schlaf beeinträchtigen, dann würdet ihr euch umso deutlicher wünschen, die Kontrolle über Qualität und Quantität eures Schlafs wieder in eigenen Händen zu halten.
Im Generellen gilt für meinen Schlaf in England, dass ich auf tendenziell weniger gemütlichen Betten und in Räumen mit dünnen Wänden schlafen muss. Das bedeutet, dass man ganz strukturell einem größeren Maß an Geräuschen und Diskomfort konfrontiert ist.
Aber offensichtlich spielen auch die Mitbewohner eine Rolle. In meiner vorherigen Unterkunft in Hills Road musste ich mich mit zwei menschlichen Störfaktoren auseinandersetzen: zwei Einwohner, die mir das Leben wirklich nicht leicht gemacht haben.
Mal abgesehen davon, kam es in Hills Road auch vor, dass die Polizei nachts anklopfte oder der Krankenwagen vor der Tür stand. Auch beliebt ist der nächtliche Kaffee und wenn man in der Küche jemanden trifft, dann wird auch gerne mal um drei Uhr nachts in tosender Lautstärke geplaudert. Abgesehen von mir schlief zu der Zeit sowieso niemand.
Strukturell gestört wurde mein Schlaf aber vor allem durch den Herrn, der sein Zimmer über mir hatte. Etwas älter und mit einem schwach ausgeprägten Gehör ausgestattet, wurde der Fernseher dementsprechend auch lauter aufgedreht. Vor allem die Rave-Partys mit lauter Musik und Gesang hätte er sich zwischendurch wirklich sparen können
Aber auch die Kriegsdokus, die teilweise die ganze Nacht durchliefen, machten es mir nicht leicht. Als er durch Krankheit in eine völlige Abwärtsspirale abdriftete, musste ich für einige Wochen nicht nur tagsüber sondern auch nachts seine lauten Wutanfälle aushalten, die mich nicht selten wachhielten.
Später war es ein anderer Einwohner, der mich in diesem Fall aber nicht durch Lautstärke unruhiger schlafen ließ. Dieser Mann war stark suizidgefährdet und hatte in seiner Zeit bei uns auch mehrere Versuche unternommen sich umzubringen.
In einer Nacht klopfte es an meine Tür, ich wachte auf und nahm das Klopfen wahr, wollte aber weiterschlafen. Nach etwa 20 Sekunden klopfte es ein weiteres Mal und ich dachte mir: „Wenn es was wichtiges ist, soll er meinen Namen rufen“. Es kam nicht selten vor, dass zu solchen Zeiten wegen den banalsten Dingen, an meine Tür geklopft wurde.
Am nächsten Morgen stellte sich heraus, dass eben jener suizidgefährdete Einwohner in der Nacht versucht hatte sich umzubringen. In einer weiteren Nacht versuchte er sich im Garten mit einem Strick zu erhängen. Mit dem Gedanken im Kopf schlafen zu gehen, dass sich in dieser Zeit jemand das Leben nehmen könnte, ist keine gute Einschlafmelodie.
Mit meinem Umzug nach Short Street hat sich die Lage verbessert. Seitdem schlafe ich um einiges ruhiger und es ist kaum mit Hills Road vergleichbar. Nichtsdestotrotz verlasse ich mich weiter auf meine Ohrstöpsel, denn ganz geräuschlos geht es hier nachts auch nicht vonstatten.
So haben wir einen Einwohner, der nachts im Schuppen direkt neben meinem Zimmer Schlagzeug spielt. Er ist geistig beeinträchtigt, sodass er das Konzept von Zeit nicht wirklich versteht. Als ich ihn das letzte Mal erinnerte, dass er bitte nicht später als 10 Uhr abends spielen sollte, trommelte er für die beiden darauffolgenden Tage konsequent bis fast 23 Uhr.
Mittlerweile bin ich an einem Punkt, an dem ich das fast völlig hoffnungslos hinnehme. Aber zumindest als er am dritten Tag seine Erfolgsreihe fortsetzen wollte, rappelte ich mich von meinem Bett auf und erinnerte ihn.
Neben diesem Kollegen ist noch der Herr zu nennen, der im Zimmer neben mir schläft und schnarcht als würde er seine Nase gleich mit einatmen. Also mal im Ernst: Das sind wirklich ganz tiefe Töne. Wahrscheinlich ist das so die Frequenz auf der Wale kommunizieren.