Mit dem Einfall der russischen Armee in die ukrainischen Provinzen wurde der Kriegszustand ausgelöst. Während sich die europäischen Staaten mit militärischen Eingriffen zurückhalten, reagieren sie mit Sanktionen und einem Abbau der Handelsbeziehungen – einem Handelskrieg. Ein anderer Kriegsschauplatz sind die Medien. Gregor Gysi sagte zur aktuellen Situation: „Das Erste was im Krieg stirbt ist die Wahrheit“. Putin dämonisiert die Ukraine und den Wesen als Nazis und möchte damit öffentlichkeitswirksam per TV und soziale Medien seinen Krieg rechtfertigen. Wesentliches Element dieser Propaganda sind russische Fernsehsender, die sich auch in Deutschland empfangen lassen. Nachdem bereits Russia TV in Deutschland verboten wurde, erheben sich laute Stimmen, die die Zensur weiterer russischer Sender fordern. Hinter dieser Diskussion steckt die elementare Frage, wie weit der Staat in die Informationssysteme seiner Bürger eingreifen darf.
Staatliche Zensur ist immerhin dasselbe Mittel, dass aristokratische Reaktionäre wie Fürst Metternich oder totalitäre Herrscher wie Kim-Jong-Un, Xe Jinping oder genau: Wladimir Putin angewendet haben und weiterhin anwenden. Inwiefern unterscheidet sich die deutsche Entscheidung russische Medien zu zensieren von der russischen Entscheidung deutsche oder oppositionelle Medien zu zensieren? Dieses Doppelstandart-Argument ist ein wesentliches Argument der Kritiker einer Zensur. Sie fragen: Welcher Zweck heiligt die Mittel, dessen Gebrauch wir uns schuldig machen und gleichzeitig bei anderen verdammen?
Nun mag man entgegnen, dass der Inhalt dieses russischen Fernsehens eindeutig und offensichtlich eine Desinformationskampagne ist, dessen maßlose Verbreitung eine Gefahr für die innere und äußere Sicherheit Deutschlands darstellt. Nichtsdestotrotz bleibt in diesem Fall die Frage bestehen, ob es die Aufgabe des deutschen Staates ist den Wahrheitsgehalt medialer Inhalte zu überwachen, zu überprüfen und sogar zu zensieren. Damit eignet sich der Staat ein Wahrheitsmonopol an und jeglicher Anspruch eines individuellen und mündigen Bürgers geht verloren. Ab diesem Moment gibt es im gesellschaftlichen Diskurs nur noch eine Wahrheit: die Wahrheit, die der Staat diktiert.
Die Realität hingegen ist viel komplizierter als diese strukturelle Kritik. Indem die deutsche Regierung russische Medien zensiert, würde sie offensichtlich nicht automatisch ein allgemeines Wahrheitsmonopol installieren. Auftritte verschiedener als „Russland-Versteher“ deklarierten Persönlichkeiten im Fernsehen zeigen, dass wir trotz allem einen kontroversen Diskurs erleben. Manchmal wird Zensur mit der erdrückenden Gewaltigkeit der Gegenmeinungen verwechselt. Es gibt einen klaren Unterschied zwischen Außenseiter-Meinungen und zwischen zensierten Meinungen. Wenn Sahra Wagenknecht ihre Stimme erhebt und dem Westen eine Mitschuld am Ukraine-Krieg zumisst, dann wird sie in der öffentlichen Meinung von allen Seiten scharf kritisiert. Wenn ein russischer Oppositioneller seine Stimme erhebt, kann er froh sein, wenn er noch einen Eindruck der öffentlichen Meinung gewinnen kann.
Es bleibt also die Frage: Wie weit darf Vater Staat in unsere Informationssysteme eingreifen, um uns vor Desinformationen zu schützen? Sollten wir nicht stattdessen mit der Propaganda konfrontiert werden, um aus diesen Methoden zu lernen und lernen die Spreu vom Weizen zu trennen? Selbst wenn der Staat uns diese Verantwortung nicht zutraut, dann soll er trotzdem auf die Zensur verzichten und russische Propagandasender mit dementsprechenden Kennzeichnungen versehen. Damit würde sich der Staat auch von dem irrsinnigen Anspruch befreien die Wahrheit über den ukrainischen Krieg so bestimmen zu können, dass jegliche Informationen eines russischen Senders kategorisch als falsch eingeordnet werden könnten. Die Wahrheitsbestimmung ist ein dialektischer Prozess, der auf die freie Meinungsäußerung und das freie Denken angewiesen ist. In einer Hinsicht möchte ich mit der liberalen Linie brechen: denn ich glaube nicht, dass der Staat überhaupt keine Verpflichtung zum Schutz des Volkes vor Falschinformationen hat. Das freie Denken und die freie Meinungsäußerungen sollten durch staatliche Medien begleitet werden, die damit auch den Einfluss einzelner Medienmongule eingrenzen. Apropos Medienmongule: Wenn man russische Medien zensiert, muss man sich fragen, warum die BILD-Zeitung, die sicherlich nicht unschuldig am Attentat auf Rudi Dutschke war, weiterhin gedruckt wird.
Es wird deutlich, dass russische Medien zu zensieren keineswegs augenscheinlich richtig ist. Dafür muss der Staat genau erklären, warum er exakt diese Informationsquelle zensiert hat und warum eine andere nicht? Darüber hinaus blieb bisher die Frage unbeantwortet, ob die Zensur russischer Medien überhaupt irgendeinen Zweck hat. Vielleicht verwandelt sich exakt diese deutsche Zensur in eine Rechtfertigung russischer Zensur und damit als Stütze russischer Propaganda. Wahrscheinlich befreit man die Opfer der Propaganda nicht einmal von ihrem Trug, sondern verhärtet sie nur in ihren Meinungen. Genauso ist es wahrscheinlich, dass sie das kritische Denken auch nicht lernen, wenn sie ausschließlich mit deutschen Medien konfrontiert werden. Diese Menschen tendieren zu absoluten Wahrheiten. Sie erinnern an diejenigen, die sich vom Fluch der nationalsozialistischen Ideologie befreit direkt dem kommunistischen Antagonisten unterwarfen.
Ich möchte noch einmal betonen, dass es sich bei diesem Artikel um einen freien und kreativen Versuch handelt, dieses Thema anzugehen und zu verstehen. In dem Wunsch, dass Sie ebenfalls ein Fan der Debatte und des notwendigen Diskurs sind, freue ich mich über jede Kritik. Diese Ausführungen sind keineswegs als eine in Stein gemeißelte Meinung zu verstehen, sondern als Entdeckung einer neuen Fragestellung. Durch kritisches inhaltliches Feedback geben Sie mir die Möglichkeit durch den konstruktiven Austausch zu wachsen und Unstimmigkeiten innerhalb der Argumentation zu vermeiden.
Anschließend und zuletzt will ich deutlich machen, dass ich nicht glaube, dass russische Deklarationen der Ukrainer als Nazis irgendetwas mit der Realität zu tun haben. Ich glaube schlichtweg, dass die übersensible Mutter ihren Kindern erstens keinen Gefallen tut, sie vor der unausweichlichen Realität zu verstecken und zweitens nicht der Staat, sondern jedes Individuum selbst über Wahrheit und Unwahrheit entscheiden sollten.