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Sollte Deutschland zur Kernenergie zurückkehren?

„Bill Gates will mit Kernkraft das Klima retten“ titelt das Handelsblatt im Oktober 2021. Gates ist nicht die einzige angesehene Persönlichkeit, die für eine Renaissance der Kernkraft eintritt. Volkswagen-Chef Herbert Diess hat sich in der Vergangenheit ebenfalls für Kernkraft geäußert. Der ehemalige Präsident des ifo-Instituts bezeichnete den Ausstieg aus dem Kohlestrom als „Fehler und vor allem eine Kurzschlusshandlung“. Hat es sich beim Austritt aus der Kernenergie tatsächlich um eine voreilige Entscheidung getroffen, dessen Folgen wir nun zu spüren bekommen?

Der Hintergrund

Seitdem Klimaschutz die oberste politische Priorität eingeräumt wird, scheint Kernenergie als wirkkräftiges Instrument zur Bewältigung der Klimakrise plötzlich wieder attraktiv. Der Umstieg auf Erneuerbare Energien bedeutet zeitgleich ein Umstieg auf inkonstante Energiequellen und insbesondere angesichts fehlender Speichermöglichkeiten drohen Versorgungslücken im deutschen Stromnetz aufzureißen. Eine Studie der Prognos-AG prophezeit zudem fast 20% zusätzlichen Strombedarf bis 2030. Bisher decken die erneuerbaren Energien laut Fraunhofer-Institut gerade einmal 42,7% des gegenwärtigen Strombedarfs ab. Bei einem geplanten Kohleausstieg „idealerweise bis 2030“ zugunsten des Klimaschutzes stellt sich die Frage, wie deren Anteil an der Deckung des Strombedarfs von 30% bei steigendem Strombedarf bis dahin gedeckt werden soll.

Kernkraft als Rettung

Angesichts dieser Herausforderungen wurde das Wiedereinschalten bzw. Nicht-abschalten von Kernkraftwerken wiederholt als pragmatische Maßnahme diskutiert. Denn Kernkraftwerke gelten als einer der klimafreundlichsten Energiequellen. Je nach Modell seien sie sogar CO2-sparender als Solaranlagen. Die neue politische Prioritätensetzung soll es also möglich machen: das Comeback der Kernkraft und das etwa 10 Jahre nach dem endgültigen Beschluss aus der Atomenergie auszusteigen.

Was gegen eine Rückkehr zur Kernenergie spricht

Bis heute stellt sich die Frage, wo der in Kernkraftwerken entstehende Atommüll gelagert werden soll. In Deutschland gibt es keine Endlager in Betrieb und auch im internationalen Blick sprechen wir von wenigen Lagerstätten. In den meisten Lagerstätten, die sich im Betrieb befinden, wird hauptsächlich schwachradioaktiver Atommüll untergebracht, während es laut Wikipedia bisher kein Endlager für hochradioaktiven Atommüll gibt, das in Betrieb ist. Die Gefahren eines verstrahlten Grundwassers erschweren nicht nur das Finden von potenziellen Lagerstätten, sie sorgen auch für erheblichen Widerstand aus der Bevölkerung, sobald eine Lagerstätte die Bedingungen erfüllt.

Die Problematik des Atommülls verdeutlicht die Tatsache, dass Atommüll zwar klimafreundlich jedoch nicht nachhaltig ist. Betrachten wir die Tatsache, dass der „Earth Overshoot Day“ jedes Jahr weiter nach vorne rückt, wird deutlich, dass eine nachhaltige Industrie kein nice-to-have, sondern ein must-have ist. Die Rückkehr zur Kernenergie könnte den nachhaltigen erneuerbaren Energien erhebliche Konkurrenz machen und für eine falsche, kurzfristige Prioritätensetzung sorgen mit dem Resultat, dass wir in 30 Jahren vor der nächsten Menschheitsherausforderung, der Lagerung von Atommüll stehen.

Darüber hinaus weist die Argumentation der Kernkraft-Befürworter eine Schwäche auf. So wird mit dem beschriebenen Hintergrund argumentiert, der eine ergänzende Stromquelle unvermeidlich mache. Gegenwärtig bedarf es angesichts der erneuerbaren Energien also eines Lückenfüllers und nicht einer weiteren Energiequelle, die durchgängig produziert. Dementsprechend plädieren einige Experten stattdessen für Gaskraftwerke, die in Notfällen flexibel einsetzbar seien.

Was für eine Rückkehr zur Kernkraft spricht

In meinen Ausführungen zum Hintergrund sollte bereits deutlich geworden sein, warum die Rückkehr zur Kernkraft gerade ein großes Problem lösen könnten. Denn Kernkraft ist klimafreundlich. Dazu kommt, dass Kernenergie entgegen dem Durchschnittsgefühl der Bevölkerung sicher und preiswert ist. So starben infolge von Luftverschmutzungen mehr Menschen als durch Reaktoren und Reaktorunfälle. Bezieht man in diese Rechnung die hohe Effizienz der Kraftwerke ein, wird deutlich, dass Kernkraftwerke sicher – und sowieso preiswert – sind. Dadurch, dass Kernenergie so preiswert sind, wird im Übrigen auch den einfachen Menschen geholfen, die sich die zukünftigen Stromverteuerungen infolge des Umstiegs auf erneuerbare Energien nicht mehr leisten können.

Vorteil gegenüber den dynamischen Gaskraftwerken ist übrigens erneut die Klimafreundlichkeit der Kernkraftwerke: Während Gaskraftwerke 350 Gramm CO2 pro Kwh verursachen, entstehen durch Kernkraftwerke 12 Gramm CO2 pro Kwh. 350 Gramm CO2 pro Kwh ist immerhin die Hälfte dessen, was ein Kohlekraftwerk im Durchschnitt pro Kwh ausstößt.

Fazit

Dass der Fokus der Energiebereitstellung in der Zukunft auf erneuerbaren Energien liegen sollte, ist selbsterklärend. Sie sind die nachhaltige Zukunft der Energie. Allerdings eröffnen sich angesichts der fehlenden Speichertechnologien und der damit einhergehenden ethischen und ökologischen Fragen (Kinderarbeit, seltene Erden & Co) zusätzliche Herausforderungen, die es zu bewältigen gilt. Kernenergie als Übergangstechnologie garantiert uns eine sichere und konstante Energiebereitstellung mit fast neutraler Stickstoffbilanz. Zusammen mit erneuerbaren Energien und Gaskraftwerken lassen sich die Lücken in der Energiebereitstellung füllen und eine ausreichende Energieversorgung trotz steigenden Strombedarfs sicherstellen. Im Generellen ist jede übereilte Absage gegenüber der Kernkraft sowie Gas ein erheblicher Fehler angesichts der ungewissen Zukunft der Energiebereitstellung. Inwiefern Deutschland nun zurückkehren sollte, ist wiederum eine kompliziertere Frage. Zumindest lässt sich dafür plädieren, dass diejenigen Kernkraftwerke, die noch nicht abgeschaltet wurden und immerhin für 9% unseres Energiebedarfs zuständig sind, weiterhin in Betrieb bleiben. Die Abkehr von der Kernkraft wird nicht umsonst oft als voreilig und unbedacht bezeichnet. In Deutschland entwickelte sich der Widerstand gegenüber der Kernkraft genauso wie die tempolimitfreie Autobahn zum deutschen Alleinstellungsmerkmal. Wir werden in Zukunft erleben, welche Konsequenzen dieser verfrühte Austritt mit sich bringen wird. Wir werden von ausländischen Gasanbietern abhängig und dadurch erpressbar sein. Durch Kernenergie erreichen wir unsere Klimaziele und sorgen dafür, dass Klimaneutralität auch vom kleinen Mann getragen werden kann und nicht in unvertretbaren Strompreisen resultiert.

  1. https://www.handelsblatt.com/unternehmen/nachhaltigkeit/interview-bill-gates-will-mit-kernkraft-das-klima-retten-der-strombedarf-wird-dramatisch-steigen/27744976.html
  2. https://www.handelsblatt.com/unternehmen/energie/energiewende-kernenergie-hat-sich-fuer-deutschland-erledigt-warum-die-energiekonzerne-keine-rueckkehr-der-atomkraft-wollen/27781670.html?ticket=ST-2442957-rRWDu3g3aTL7cW9bI7cB-cas01.example.org

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